Als erstes möchte ich einige allgemeine Informationen über die Frühförderung voranstellen, bevor ich dann ganz konkret einen ausgewählten Arbeitstag beschreibe.
In der Frühförderung werden Kinder im Alter zwischen 0 und 6 Jahren betreut. Es sind Kinder, die in ihrer Entwicklung verzögert, behindert oder von Behinderung bedroht sind. Dazu gehören auch sogenannte „Risikokinder“, wie z.B. Frühgeborene. Unsere Frühförderstelle ist eine offene Anlaufstelle für Familien, die sich Sorgen über die Entwicklung ihres Kindes machen. Häufig ist es auch der Kindergarten oder der Kinderarzt, der den Eltern die Einrichtung empfiehlt. Die Aufgabe einer Frühförderstelle besteht darin, auf das Kind abgestimmte Therapie- und Förderangeboten dem Kind und der ganzen Familie zur Seite zu stehen. Das ganzheitliche Hilfekonzept verbindet medizinische, psychologische, pädagogische und soziale Hilfen. Die Familie, d.h. auch die Geschwister und wichtige Bezugspersonen, wird immer in die Behandlung mit einbezogen In unserer Frühförderstelle arbeitet ein interdisziplinär zusammengesetztes Team aus Sozial- und Heilpädagoginnen, einer Psychologin, Ergotherapeutinnen, Logopädinnen, einer Physiotherapeutin. Wir arbeiten eng mit Kinderärzten, Kinderkrippen und Kindergärten zusammen und verstehen uns als Fachkräfte, die in erster Linie die Ressourcen und Fähigkeiten der Kinder beachten und fördern wollen. Entwicklungsdiagnostik, Förderpläne und gemeinsame Zielsetzungen sind dabei wesentliche Bausteine für kompetentes Arbeiten.
Am Beispiel eines Arbeitstages möchte ich die Frühförderarbeit veranschaulichen.
Mein erstes Kind am heutigen Tag ist ein Vorschulkind. Ich besuche es abwechselnd zu hause und im Kindergarten. Heute ist der Kindergarten
Am Ende zeigen die Kinder Rudi nochmal, wie er es machen kann
Die Förderstunde ist zu Ende und alle Kinder gehen mit dem Gefühl, etwas geschafft zu haben, zurück in die Kindergartengruppe. Ein Austausch mit der Erzieherin zu den einzelnen Förderstunden findet regelmäßig statt.
Als nächstes steht auf meinem Stundenplan die Förderung eines vierjährigen Jungen in seinem Elternhaus. Die Mutter stammt aus Polen, der Vater aus der Türkei. F. lernt nur im Kindergarten die deutsche Sprache und ist oft noch schwer zu verstehen. Seit einigen Wochen erhält er jetzt auch logopädische Förderung. Als ich mit meiner Spielkiste am Haus ankomme, habe ich noch ein paar Minuten Zeit. Ich nehme mir noch mal kurz meine Unterlagen zur Hand. In der letzten Stunde war ich zu einem schreienden Kind gekommen, das unbedingt noch am Computer spielen wollte. Den Eltern fiel es nicht leicht, sich bei ihrem Sohn durchzusetzen. Sie ließen sich auf lange Diskussionen ein, die letztlich wieder im Geschrei endeten. Die Schwierigkeit, den Kindern an den „richtigen“ Stellen, Grenzen zu setzen, zeigt sich häufig als mitunter massives Erziehungsproblem. So konnte ich an Ort und Stelle durch unterstützendes Handeln aufzeigen, wie in ähnlichen Situationen anders reagiert werden kann. An einem kleinen Tisch bauen wir ein Spiel auf, in dem es um Ausdauer, Konzentration und Wahrnehmung geht, denn diese Eigenschaften fallen F. meist noch sehr schwer. Die Mutter sitzt mit der kleinen Tochter dabei und spielt mit. Das Interesse der Mutter an Spiel- und Fördermaterial ist spürbar, sowie die Bereitschaft entsprechende Angebote in den Alltag einzubauen. Wenn Familien wie hier beschrieben aus einem anderen Kulturkreis stammen, gehört es auch zu meinem Selbstverständnis, die gesellschaftlichen Unterschiede zu beachten und Interesse am Austausch zu bekunden.
Dass Kindergärten häufiger als noch vor einigen Jahren um Unterstützung in ihrer Institution bitten, hat unterschiedliche Gründe. Komplexe gesellschaftliche, als auch familiäre Strukturen wirken sich mehr und mehr belastend auf die Beziehungen innerhalb der Familien aus. Nicht die Kinder selbst sind auffällig, sondern häufig sind es die Lebensumstände die sie überfordern. Oftmals stehen Eltern in der Kindererziehung an einer Hemmschwelle, und tun sich im „Hilfe holen und annehmen“ schwer. Das Mädchen, das ich heute im Kindergarten besuche, freut sich meistens auf die besondere Zeit. Es genießt die Aufmerksamkeit. Seit dem neuen Kindergartenjahr findet die Förderung in einer kleinen Gruppe mit fünf weiteren Vorschulkindern statt. Hier ist insbesondere das Erlernen von Kompetenzen im Bereich des Sozialverhaltens ins Blickfeld gerückt. Aufgaben zu zweit bearbeiten, sich nicht ablenken lassen, wenn es bspw. darum geht, eine Aufgabe alleine zu lösen, Konflikte auf stärkende Art und Weise klären, es aushalten, wenn andere schneller sind oder das Spiel gewinnen. Dabei werden noch viele andere Qualitäten aus den verschiedenen Entwicklungsbereichen herausgefordert. Das ist oft nicht einfach für A. Heute sollten sie jeweils zu zweit einen Turm aus kleinen Hölzchen bauen, bei dem immer abwechselnd ein Stäbchen aufgelegt werden muss.
Das wollte vom feinmotorischen her erst gar nicht klappen, dann gab es gegenseitige Vorwürfe unter den Kindern. Spielerisch konnten wir die Situation unterbrechen und gemeinsam überlegen, wie es denn möglich sein könnte, zum Ziel zu kommen. Gerne hilft uns dabei „Rudi“, eine große Puppe, die wie alle (Kinder und Erwachsene) Fehler macht und sich auch manchmal „daneben“ verhält. Auch Rudi schimpft heute und macht etwas kaputt. So können die Kinder zusammen mit mir überlegen, wie wir Rudi unterstützen können.
Mit etwas Abstand zum eigenen emotionalen Verhalten sind die Ideen oft leichter zu finden, z.B. soll Rudi erstmal richtig zuhören, was der andere sagt.
In einem Gespräch versuche ich der Mutter zu erklären, welche Entwicklungsbereiche bei diesem speziellen Spiel angesprochen werden und schlage ihr Spiele zum üben vor. Am Schreibtisch angekommen, dokumentiere ich meine Förderstunden. Ich notiere mir dazu, was gut geklappt hat, wo sich Themen gezeigt haben an denen weiter zu arbeiten ist und evtl. schon Ideen für die nächste Förderung. Nach einer Mittagspause stelle ich Überlegungen für die letzte Frühförder-stunde am heutigen Tag zusammen. Im Mittelpunkt steht S., ein 3-jähriges Mädchen. Die Eltern sind beide berufstätig, die Mutter arbeitet im Schichtdienst. Wir streben an, dass 14-tägig die Förderung im Elternhaus stattfindet. Da sich die Dienstpläne monatlich ändern, müssen wir unsere Termine sehr flexibel gestalten, was manchmal kompliziert ist. Heute klappt es und ich werde schon gleich im Garten vom wartenden Mädchen empfangen. S. ist ein aufgewecktes energievolles Kind. Weil sie große sprachliche Schwierigkeiten hat, bekommt sie außer der pädagogischen Frühförderung noch 1x Woche Logopädie. Die Mutter erzählt, dass S. provoziere; schon am Morgen nach dem Aufstehen fange dies an. Doch bevor wir uns diesem Thema intensiver widmen, kommt S. zum Zuge. Wir stellen ein kleines Würfelzelt ins große Zimmer und das Mädchen kann durch körperlichem Einsatz und visueller Wahrnehmung die farbigen Sand-säckchen durch die entsprechenden Fenster des Häuschens werfen.
Es ist mir wichtig, die Ideen des Kindes zu berücksichtigen und so fallen uns noch einige Variationen zum Spiel ein welche auch gleich umgesetzt werden. Ich biete Mutter und Tochter zum Thema Farben noch ein ansprechendes Bilderbuch an. Zuletzt überlegen die Mutter und ich noch gemeinsam, welches der nächste konkrete Schritt im Umgang mit o.g. provokativen Verhalten sein kann.
Wieder am Schreibtisch zurück, schreibe ich mir Wichtiges auf, räume Spiele weg und beende meinen Arbeitstag, der sehr oft auch von berührenden Momenten geprägt ist.
Andrea Illmann, pädagogische Mitarbeiterin der Frühförderstelle Seitenanfang